Um einen Blick in die Zukunft der Bildung zu wagen, ist es hilfreich zunächst auch einen Blick in die Vergangenheit des Lernens zu werfen. Denn: Die Geschichte des Lernens ist älter als die Geschichte der Menschheit, viele Millionen Jahre sogar. Im Vergleich dazu steckt unsere menschliche Lernreise noch in den Kinderschuhen. Es gibt noch viel Spannendes zu erleben und damit zu (er-)lernen auf dieser Reise! Mit Sicherheit werden wir uns aufgeschlagene Knie bei den ersten Gehversuchen in neue digitale Lernwelten holen. Den ein oder andere Irrweg dank pubertärer Stimmungsschwankungen bezüglich der Idee einschlagen, was gute digitale Didaktik ist. Zudem werden uns vermutlich unterschiedliche Reisebegleiter*innen auf diversen digitalen Bildungspfaden vor eine Vielfalt an Herausforderungen stellen. Doch ebenso warten unendliche Möglichkeiten auf uns zu lernen, potenzielle Zukünfte zu (er)denken und zu gestalten. Es bietet sich uns die Chance digitale Bildung so zu konzipieren, dass durch sie die fiktiven Vorstellungen einer Zeit nicht nur virtuell real wird, in der wir besser für uns, unser miteinander und unseren Planeten Sorge tragen.
Die Geschichte des Lebens und damit des Lernens auf diesem Planeten beginnt vor etwa 4 Milliarden Jahren. Die meiste Zeit hiervon – etwa zwei Drittel – bevölkerten Einzeller die Erde. Diese einfachste Form des Lebens ist gehirnlos, aber bereits fähig zu lernen, wie sie überhaupt oder sogar besser überleben kann. Mehr noch, sie kann beispielsweise neue Verhaltensweisen nicht nur trainieren, sondern sogar unter ihren Artgenossen weitergeben. Im Laufe unserer Entwicklungsgeschichte vom Einzeller zum homo sapiens wurde nicht immer mit den gleichen Sinnen gleich ausgeprägt gelernt. So finden ursprüngliche Formen des Lernens häufig über den Geruchs-, Hör- und/oder auch Tastsinn statt. Erst bei den Primaten steht das Sehen im Kontext des Lernens mit im Vordergrund. Bei sozialen Lebewesen kommt zudem noch die besondere Form des Lernens durch Nachahmung hinzu. Die Betrachtung von besonderes entwickelten Formen des Lernens beschränkte sich lange Zeit auf eben jene Gattung von Lebewesen, die wir für die intelligenteste hielten: uns Menschen. Ein Trugschluss der vornehmlich darauf basiert, dass Menschen über ein zu ihrer Statur vergleichsweises großes Gehirn verfügen. Nicht sonderlich lange ist es her, da wurde sogar noch die These vertreten, Männer seien aufgrund ihres größeren Gehirns intelligenter als Frauen … .
Mittlerweile ist jedoch nicht nur diese Annahme wiederlegt, sondern auch bekannt, dass Intelligenz und die damit in Verbindung gebrachte Fähigkeit Wissen erwerben zu können nicht einmal mit dem Vorhandensein eines Gehirns einhergehen muss. Plattwürmer zum Beispiel verfügen über erworbenes Wissen sogar noch dann, wenn sie nach einer Amputation des Kopfes diesen (inklusive Gehirn) neu regenerieren. Sprich, sie speichern erworbenes Wissen auch in ihrem Körper ab. Erst in Ansätzen ist bekannt, wie und in welcher Form Oktopoden lernen und über welche unterschiedlichen Formen von Intelligenz sie allein in einem einzigen Tentakel verfügen. Manche gehen sogar davon aus, dass jeder dieser acht Arme eine eigene Persönlichkeit besitzt, die gleiche Lernerfahrungen auf unterschiedliche Art und Weise anwendet. Interessant sind auch die Forschungen zur Domestizierung von beispielsweisen Silberfüchsen, die darauf verweisen, dass nach ihrer Freundlichkeit ausgewählte Artgenoss*innen über eine besonders ausgeprägte Form der Intelligenz verfügen. Zusehends werden zudem nicht nur bahnbrechende neurologische Erkenntnisse über die Funktionsweisen des menschlichen Gedächtnisses gewonnen, sondern auch Formen künstlicher Intelligenz und damit Aspekte maschinellen Lernens auf den Plan gerufen.
All diese neuen Erkenntnissen rund um das Thema Intelligenz und Formen des Lernens finden bislang allerdings, wenn überhaupt, als Inhalte, als das „was“ gelernt wird, Eingang in unser Bildungssystem. Dabei schlummern in ihnen spannende neue Optionen auch für die menschlichen Lernreise. Sie werfen Fragen dazu auf, „wo“, „wann“ und „durch wen“ (digitale) Bildung zukünftig stattfinden wird. Sie eröffnen Raum für neue visionäre Gedankenspiele, in denen (digitale) Bildung nicht nur ein temporäres Begleitphänomen unserer Karriere, sondern ein integraler Bestandteil unserer gesamten Biographie ist.
Zentral ist hierfür jedoch vornehmlich zunächst eins: Der Mut unsere heutigen Bildungsideale zu hinterfragen. Weder die Suche nach Antwort auf die genannten Fragen noch jegliche visionäre Gedankenspiele werden sonderlich weit führen, wenn sie nicht ergründen und prüfen, was heute als Status Quo guter Bildung gehandelt wird. Mehr noch, es gilt kritisch gegen den Strich zu bürsten, wer über die Macht verfügt, über Inhalte, Rollen und Funktionen, Räume und Phasen, aber auch über Erfolgs- und damit auch Versagenskriterien im Kontext von Bildung zu entscheiden.
Kurzum: Bildung braucht ein neues Geschäftsmodell! Gesucht ist ein Gründungsteam, dass ein Wert(e!)versprechen entwickelt, das nicht nur fordert sondern fördert! Benötigt wird eine neue Idee davon, was (digitale) Bildung wen kosten darf und welchen Mehrwert sie für wen zu bringen hat sowie welche Rolle digitale Technologien spielen. Spätestens mit dem humboldtschen Leitbild hat Bildung nicht mehr nur sich selbst zum Sinn, sondern soll einen Zweck verfolgen, der der Gesellschaft Nutzen stiftet und bestmöglich sogar Gewinn bringt. Erforderlich ist daher auch ein Umdenken in der Gestaltung von strategischen Partnerschaften im Bildungssystem sowie in Hinblick auf (digitale) Lernressourcen und Verbreitungskanäle. Ja, überhaupt gilt es anzufangen abseits von ökonomischen (oder auch politischen) Kalkül über Formen von Segmenten von sowie Beziehungen zu den (digital) Lernende nachzudenken. Gleiches gilt für (digitale) Lernbegleitende.